Vanillepudding

Als Magda viereinhalb war, kochte sie leidenschaftlich gern Pudding mit ihrer Großmutter. Magda kannte sich aus mit Puddingkochen. Es ging los damit, daß die Großmutter den alten gelöteten Aluminiumtopf auf den Gasherd stellte und die Milchkanne aus der Speisekammer nahm. "Geh und hol' Milch", sagte sie dann, "und bring' auch noch Puddingpulver mit, die Dose ist schon fast leer." Das Puddingpulver mit der echten Vanille gab es nur im Reformhaus. Magda kannte den Weg gut; sie war ihn schon oft alleine gegangen. Und sie kannte sich gut aus mit Vanille. "Die echte Vanille heißt Bourbonvanille," hatte ihr die Großmutter erklärt. Das künstliche Zeugs tauge nichts, und deshalb mache sie auch ihren Vanillezucker selbst. Die Vanille kaufte sie in einem Glasröhrchen. Drei lange schwarze Stangen waren darin. Die legte sie in ein hohes, schmales Gefäß, füllte mit weißem Zucker auf und verschloß es mit einem Schraubdeckel. Zum Puddingkochen konnte man den Vanillezucker aber nicht nehmen, soviel wußte Magda schon.

Im Reformhaus füllte die Verkäuferin das Puddingpulver aus einem großen Glasbehälter in eine braune Papiertüte ab. Großmutter hob diese Tüte auf, nachdem sie das Pulver in ihre blaue Blechdose umgefüllt hatte, und nahm sie beim nächsten Kauf wieder mit. "Das spart", sagte sie. "Und im Reformhaus sind sie dankbar und geben mir ein paar Gramm Puddingpulver mehr." Ob das wirklich stimmte, wußte Magda nicht, aber sie fühlte sich wichtig, wenn sie der Verkäuferin die braune Tüte in die Hand drücken konnte.

Magda flitzte schnell vom Reformhaus nach Hause. In der Zwischenzeit hatte die Großmutter die Fußbank vor den Herd gerückt, damit Magda ihre Aufgabe übernehmen konnte. Sie sollte die Gasflamme im richtigen Moment herunterdrehen, kurz bevor die Milch überkochte. Wenn die Großmutter dann das Puddingpulver in die Milch gequirlt hatte, mußte Magda stetig rühren, damit nichts anbrannte.

 Einmal sollten kleine Apfelstückchen in den Vanillepudding eingerührt werden. Das hatte sie noch nie getan. Großmutter schälte die Äpfel und schnitt sie dann in längliche Spelte, die sie später in kleine Stückchen schneiden wollte. Magda wurde ungeduldig. Es dauerte ihr viel zu lange, und helfen durfte sie beim Schneiden nicht. "Messer, Gabel, Schere, Licht, dürfen kleine Kinder nicht!" Diesen Spruch bekam sie oft zu hören. Doch war die Flamme auf dem Gasherd nicht auch "verboten"? Sie verstand nicht, warum die Großmutter sie nun kein Messer halten ließ...
Für einen Moment mußte die Großmutter die Küche verlassen; es hatte an der Tür geschellt. Magda greift nach dem Messer... und da hat sie sich schon geschnitten! Aus ihrem linken Zeigefinger quillt dick das Blut und tropft auf die Apfelspelte, die Großmutter bereits geschnitten hat. Magda sitzt starr vor Schreck, das schlechte Gewissen pocht in ihrem Hals. Schnell steckt sie den blutenden Finger in den Mund, so als könne sie ihren Ungehorsam damit ungeschehen machen. Aber als die Großmutter zurück in die Küche tritt, zeigt ihr Gesicht gleich, daß sie Bescheid weiß. Die roten Flecken auf Messer, Tisch und Apfelstücken erzählen die Geschichte. Großmutter führt Magda wortlos an das Abwaschbecken und hält ihren Finger unter den kalten Wasserstrahl, geht, um einen Streifen von dem weißen Baumwollstoff abzureißen, den sie als Verbandmaterial nutzt. Magda starrt auf das laufende Wasser, das aus den Blutstropfen längst einen dicken roten Strahl gemacht hat. Aus dem Rot wird Schwarz; Magda sackt zusammen.

Als sie wieder zu sich kommt, hat die Großmutter sie auf die Holztruhe in der Ecke gesetzt. "Na, meine kleine Puddingköchin", sagt sie, " ich glaube, es wird Zeit, daß ich dir zeige, wie man mit einem Messer umgeht..." 
 
© 2004 · Mimi··email senden