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Das BündelDie dicke Frau steht unten auf der Straße inmitten des geschäftigen Treibens ohne sichtbare Regungen. Ihre Arme hängen herunter, ihr Blick ist starr auf den Hauseingang gerichtet, aus dem in diesem Moment ein Sanitäter ein junges Mädchen führt. Eine Katze folgt den beiden auf dem Fuße. Die umstehende gaffende Menschenmenge buht und reckt geballte Fäuste in die Luft. Ein zweiter Sanitäter führt nun die dicke Frau zu einem Streifenwagen. Er setzt sie vorsichtig auf den Sitz in die offene Tür und winkt den Arzt heran, der sich vor sie hinkniet und ihr leise zuredet. Als sie nicht reagiert, bringt er sie zum Notarztwagen. Inzwischen sind der Krankenwagen mit dem jungen Mädchen und der Leichenwagen abgefahren; ein paar Beamte in Zivil befragen die umstehenden Menschen. Ein Mann, in Jeans, verblichenem Sweatshirt und Schlappen, biegt grölend um die Ecke. Die Katze sitzt laut miauend vor der Haustür...Rosi trug das Körbchen mit dem wimmernden Bündel vorsichtig die schmale Stiege hinauf. Oben, vor der Dachbodentür, streifte ihr die schwarze Katze um die Beine. Na, Katz, wo kommst du denn her?, flüsterte sie. Bist du mir gefolgt? Sie hakte ihren rechten Ellenbogen hinter den Türgriff, zog die schwere Eisentür einen Spalt auf, schob dann ihre Hüfte dazwischen, um den Spalt zu verbreitern und sich dann hindurchzuschieben. Die Katze flitzte durch ihre Beine hindurch und blieb stocksteif inmitten eines großen Sonnenflecks stehen. Rosi sorgte mit dem Fuß dafür, dass die Tür leise ins Schloss rutschte. Dann stellte sie das Körbchen auf dem wackeligen verstaubten Tischchen ab, der neben einem der Stützpfeiler stand. Die Katze bewegte sich noch immer nicht, und auch aus dem Körbchen drang nun kein Laut mehr. Rosi wischte sich mit ihrem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Dann fischte sie ein Schlüsselbund aus ihrer Hosentasche, griff zielsicher nach einem Schlüssel und schloss die Tür ab. Die Katze maunzte und kam zielstrebig auf sie zu. Psst! Rosi legte einen Finger auf ihre Lippen. Psst, Katz... sie bückte sich und strich ihr vorsichtig mit einem Zeigefinger über Kopf und Rücken. Dann kraulte sie ihr Kinn. Die Katze warf sich zu Boden und wälzte sich auf den Rücken. Ja, das hast du gern, flüsterte Rosi. Wer nicht? seufzte sie, stand auf und strich sich die Bluse glatt. Plötzlich wurde die Türklinke heruntergedrückt. Rosi warf einen besorgten Blick auf den Korb, aber von dort kam kein Mucks. Hey, was ist denn hier los! Die Türklinke wurde in rascher Reihenfolge auf und ab bewegt. Seit wann ist denn hier abgeschlossen?...Und wie komm ich nun an meine Sachen? Mist! Schritte entfernten sich trampelnd die Treppe hinunter. Rosi rieb ihren Handrücken über die Stirn und wischte ihn dann an der Hose ab. Unten betrat eine ältere Frau mit einer großen Einkaufstasche das Haus. Sie bewegte beim Gehen ihre enorme Körperfülle von einem Bein aufs andere, was irgendwie an einen schaukelnden Eisberg erinnerte. Sie wusste, dass die übrigen Bewohner hinter ihrem Rücken tuschelten. Sie hatte einmal zwei Frauen im Keller belauschen müssen. Sie war gerade dabei, die Wäsche aufzuhängen und hinter den großen Laken nicht zu sehen gewesen, als die beiden den Trockenkeller betraten. Haste Wabbel heute schon gesehen? hatte die eine gesagt. Die schaffts doch kaum noch vor die Tür. Ihr Oller kann mit der doch gar nichts mehr anfangen... Sie hatten gelacht. Wie die wohl zu dieser hübschen Tochter gekommen ist, hatten sie noch gesagt und waren dann gegangen. Stöhnend stellte sie die Tasche auf die untere Treppenstufe, nahm ihre Post aus einem der verbeulten Briefkästen und schob unwirsch ein abgestelltes Kinderdreirad beiseite. Diese Blagen!, zischte sie zwischen den Zähnen hervor. Müssen ihren Kram immer mitten im Weg stehen lassen... Feste was hinter die Ohrn brauchen die. Feste was hinter die Ohrn! Sie hievte ihre Einkaufstasche und sich selbst die Treppe empor, wobei sie auf jeder zweiten Stufe ächzend und fluchend zum Verschnaufen innehielt. Rosi hatte mittlerweile in der hintersten Ecke eine Menge Gerümpel wie zu einer Burgmauer aufgetürmt. Liebevoll befestigte sie in dem entstandenen Oval bunte Tücher an einer gezogenen Wäscheleine, ordnete altes Spielzeug in einen Kreis auf dem Boden. Sie zog einen alten Sessel in die Ecke und stellte dann das Körbchen in den Spielzeugkreis. Die Katze machte es sich auf dem Sessel bequem. Nö, so nicht, sagte Rosi, der ist für mich. Sie setzte sich zu der Katze und stellte fest, dass er genug Platz für sie beide bot. Trotzdem kletterte die Katze auf ihren Schoß, rollte sich dort zusammen und ließ sich streicheln. Rosi seufzte, als die Katze anfing zu schnurren. A B C die Katze lief ..., summte sie. Die dicke Frau hatte ihre Einkäufe in den Schränken verstaut und hing nun schwer schnaufend auf einem Küchenstuhl. Ein Mann betrat die Küche. Er war mit einer abgeschabten Jeans und einem zerrissenen Muskel-Shirt bekleidet und stellte ihr einen großen Eimer Kartoffeln vor die Nase. Hier, das wird ja wohl reichen. Oder musst du noch mehr fressen? Er schlurfte aus dem Zimmer, steckte aber gleich nochmal den Kopf zur Tür herein. Wo ist eigentlich Rosi? Die sieht man in letzter Zeit so gut wie gar nich mehr. Und zugenommen hat die auch. Hoffentlich wird die nich so fett wie du... Der Kopf verschwand. Die Frau hörte, wie ihr Mann den Schlüssel aus der Schale auf dem Flurschränkchen nahm. Wohin gehste?, rief sie. Biste zum Essen da? Ihr Mann schlug die Wohnungstür hinter sich zu. Die Frau schob den Eimer zurück und warf das Schälmesser auf den Tisch. Brauch ich auch nich kochen, kann ich ihn später wieder außer Kneipe holn... Sie stemmte sich hoch und watschelte ins Wohnzimmer, wo sie sich in einen großen Ohrensessel warf und nach der Fernbedienung griff. Mit hoher Lautstärke röhrte Hans Meiser in den Raum. Auch als Rosi plötzlich in der offenen Stubentür stand, wandte die dicke Frau den Blick nur einen Moment von der Mattscheibe. Du kannst dann nachher deinen Vater außer Kneipe holen, warf sie ihrer Tochter hin. Rosi drehte sich wortlos um und ging ins Badezimmer. Hier wienerte sie zum zweiten Mal an diesem Tag Fliesen, Badewanne und Toilette. Das scharfe Putzmittel hatte bereits Risse in ihre Hände gegraben, aber sie schrubbte wie wild bis sie erschöpft auf die Knie sank. A B C die Katze lief im Schnee..., summte sie vor sich hin. A B C - ... Oben auf dem Boden strich die Katze um das kraftlos wimmernde Bündel. Draußen lief ein kleiner Junge ums Haus und rief nach seiner Katze. Zwei Tage später tragen Beamte der Gerichtsmedizin begleitet von Polizisten ein stilles Bündel vom Dachboden. Ein Arzt sitzt neben einer weinenden Frau auf den Stufen. Ich wollte doch nur meinen Koffer holen..., und dann habe ich die Katze gehört..., und dann... Der Arzt zieht eine Spritze auf. Das waren doch all die Sachen von der Rosi..., aber das war gar keine Puppe... Der Arzt setzt die Spritze. |
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© 2004 · Mimi·![]() |